Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 9.12.2015:

Unterschätztes rollendes Volk:

Druck von Russlands Brummifahrern.

Die Leidensfähigkeit der Russen ist legendär – sie lassen scheinbar alles mit sich machen. Auch auf die neuesten Pläne der Regierung zur Sanierung des Krisenbudgets regt sich im Volk allenfalls ein Murren, das jedoch von der Devise übertönt wird, Russland sei im «Kriegszustand», und da müssten sich eben alle am Riemen reissen. Dabei geht es um Pläne, die andernorts Regierungskrisen oder gar Rücktritte provozieren würden – zum Beispiel eine massive Erhöhung des Rentenalters, die Anzapfung des staatlichen Rentenfonds, oder Steuererhöhungen. Solch unpopuläre Massnahmen lässt Präsident Putin üblicherweise durch seinen Ministerpräsidenten Medwedew oder durch Vertreter der zahmen Parteien «vorschlagen», und in der Bevölkerung weiss man, dass darauf keine Gegenvorschläge folgen.

Aber obwohl diese Machtmechanismen perfekt eingespielt sind und die staatlichen Organe sämtliche Vorgänge bis ins Letzte kontrollieren, hat man sich in einer Sache ganz gründlich verrechnet. Sie heisst «Platon» und ist eine Mautgebühr für Lastwagen ab 12 Tonnen, die am 15. November auf den föderalen Trassen eingeführt wurde. Die Brummifahrer sollen gewissermassen für Schädigung des Strassenbelags durch ihr Gewicht bezahlen. Der Strassenzoll brachte die Brummifahrer zur Raserei, die sie mit Schneckentempo zum Ausdruck brachten. In zahlreichen russischen Städten organisierten sie Bummelstreiks oder liessen ihre Lastwagen mit der Aufschrift «Nein zu Platon» auf offener Strasse stehen, und sorgten für ein Verkehrschaos.

Ihr Protest richtete sich nicht nur gegen das Kilometergeld, das die Fahrten verteuert und letztlich zu Preiserhöhungen bei den transportierten Gütern führt. Ihre Wut entstand auch wegen des bürokratischen Chaos und des Hauruckverfahrens, mit dem die Maut eingeführt wurde. So wurden vielerorts Fahrer für unbezahlte Gebühren gebüsst, obwohl die nötigen Fahrtenschreiber nicht rechtzeitig ausgeliefert worden waren. Davon abgesehen sind die meisten überzeugt, dass am schlechten Zustand der Strassen nicht die Lastwagen, sondern die miserable Qualität des Belags beziehungsweise die Vetternwirtschaft und Korruption bei der Auftragsvergabe im Strassenbau schuld sind. Darum verlangten die russischen Trucker eine sofortige Aussetzung der Maut.

In Moskau reagierte man auf die Brummiproteste zunächst mit Hinhaltetaktik und unterschätzte damit die Lage völlig. Denn die Gewerkschaft der Lastwagenfahrer drohte prompt mit einer Blockade der Hauptstadt. Zum ersten Mal ging damit eine der ansonsten zahnlosen russischen Gewerkschaften auf Oppositionskurs. Gegenüber den Medien sagten viele Fahrer, sie unterstützten eigentlich Putin, aber einen solchen Humbug lasse man sich nicht bieten.

Kritik an der Kremlpolitik kam bisher in erster Linie von der politischen Opposition, der man vorwirft, sie operiere fern von Volk und Realität. Nun sind es Zehntausende von Brummifahrern, die landesweit Versorgung und Verkehr lahmlegen können. Sollten sich dann noch Autofahrer mit ihnen solidarisieren, die durch neu eingeführte Parkgebühren und korrupte Verkehrspolizisten verdrossen sind, könnte es zu einer gefährlichen Mischung kommen.


Eugen von Arb,
9.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 343.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.