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«Wandzeitung» vom 26.9.2015:

Sozialhilfe:

Positive Anreize oder Beruhigungspille für den Nachbarn?

Die Sozialhilfekonferenz und die kantonalen Sozialdirektoren kürzen per Anfang 2016 die Sozialhilfe – dies, nachdem rechtsbürgerliche Parteien jahrelang Druck ausgeübt haben. Unabhängig davon, auf wessen Konto die neuen Richtlinien gehen, stellt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck der Revision. Ist sie schäbig, wie die SP Schweiz in einer Medienmitteilung geschrieben hat? Oder begrüssenswert, wie mehrere SP-Politiker, namentlich mit Verantwortung im Sozialdienst-Bereich, sagen?

Sozialhilfeabhängige leben grundsätzlich auf kleinem Fuss. Die Beiträge lassen keinen grossen Spielraum, und hinzu kommt die Bevormundung: Sozialhilfebeziehende sind nicht frei, sie hängen am Tropf der Allgemeinheit und müssen Anweisungen befolgen, etwa in eine günstigere Wohnung ziehen oder ein Arbeitsprogramm mitmachen. Wenn sie sich weigern, drohen Scherereien, künftig noch mehr: Das Geld für den täglichen Bedarf kann bei Nichtbefolgen der behördlichen Anweisungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden, heute um 15 Prozent. Die Bevormundung mag für manche Leute schlimmer sein als für andere. Wer in der Schweiz sozialisiert worden ist und im Bewusstsein von Freiheit und Selbstbestimmung aufgewachsen ist, wird sich an eine solche Situation nur schwer gewöhnen. Wer hingegen aus einem Land flüchten musste, in dem Willkür und Unterdrückung herrschen, für den mag die schweizerische Sozialbehörde das weitaus kleinere Übel sein. Zur Bevormundung kommt auch das Gefühl, überflüssig zu sein.

Auf der anderen Seite haben Sozialhilfebezüger den Vorteil, dass ihnen Kosten finanziert werden, die viele Erwerbstätige zusammenkratzen müssen: etwa die einer Zahnspange oder einer Anschaffung für die Wohnung. Das führt mitunter dazu, dass es Sozialhilfe-Familien – rein finanziell – besser geht als solchen, in denen Vater oder Mutter oder beide arbeiten.

Und weil es, zumindest in der Schweiz, nichts Schlimmeres gibt als der Gedanke, jemand anders könnte besser oder gar zu gut wegkommen, womöglich noch ungerechtfertigterweise, müssen die Sozialhilfeleistungen nun gekürzt werden. Grosse Familien kriegen weniger Geld. Wie zwiespältig diese Massnahme ist, zeigt ihr Ausmass: Eine sechsköpfige Familie erhält für Güter des täglichen Bedarfs künftig 2586 Franken, bisher waren es 2662 Franken – die Differenz beträgt nicht einmal 80 Franken. Weiter will man nicht gehen, weil vor allem Kinder betroffen sind. Stärker wird bei den Jungen gekürzt, sie erhalten monatlich etwa 200 Franken weniger pro Person, was mancherorts schon heute gemacht wird.

Im besten Fall verbessern die neuen Richtlinien die Anreize, aus der Sozialhilfe auszusteigen und eine Erwerbsarbeit anzunehmen. Im schlechteren Fall ist die Massnahme symbolischer Natur: eine Beruhigungspille für den Nachbarn, der täglich früh aufstehen und sich sein Brot hart verdienen muss. So oder so handelt es sich um Symptombekämpfung. Die Tatsache, dass eine wachsende Zahl von Menschen in der Schweiz keine Arbeit mehr finden, bleibt bestehen.


Claudia Blumer,
26.9.2015, 114. Jahrgang, Nr. 269.

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Standpunkte:

27.9.2015, 10:48 Uhr.

Pierre-François Bocion schrieb:

Die geschriebene Analyse der Sozialhilfe in der Schweiz ist richtig. Wir haben zu viele Arbeitslose in der Schweiz. Für diese muss die Weiterbildung dringend professionell organisiert werden, damit diese wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden können. Das ist eine schwere und teure Aufgabe. Wir brauchen nicht ein Heer von Wirtschaftsflüchtlingen, die das Problem unlösbar machen.


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