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Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
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«Wandzeitung» vom 31.8.2015:

Auch am empfindungsmässig schönsten Wohnort kann es ein arg dröhnendes Intermezzo geben:

Der Lärm wohnt grad mal bei uns.

Es ist freilich das Recht unserer Stadtregierung, dass sie ihre kompetente Verwaltung der Liegenschaften damit beauftragt, ihre unzähligen Räume optimal als Arbeitszimmer, Bildungskammer wie Kultursaal oder Wohnstube mittels menschenlicher Kreativität zu beleben beziehungsweise zu bewirtschaften. Und es ist gar keine Frage, dass die arbeitenden Menschen mit und um Erich Dürig plus Iris Zimmermann einen überaus anspruchsvollen und obendrein guten wie empathischen Job machen. Ämel ist unsere kleine Familie – ohne den verantwortlichen Leuten bekannt gewesen zu sein – hier zu einer bescheidenen wie wunderbaren bezahlbaren Klause gekommen, an schönster Lage: Am Obertor, gleich hinter dem Fortunabrunnen. Gewerbe rundum und die Polizei vis-à-vis, im Mass lärmende Nachtschattengewächse. Es ist Tag für Tag und Nacht für Nacht so schön, hier leben zu dürfen.

Aber: Es muss selbstverständlich auch möglich sein, dass in unserem Haus an Haus gebauten Wohn- und Gewerbeviertel, zwischen der General-Guisan-Strasse, der Stadthausstrasse, dem Oberen Graben wiewohl dem Obertor bauliche Veränderungen möglich sein müssen. Und das ist nach dem Auszug der Stadtverwaltung fraglos der Fall. Wo einst die überaus beliebte Post florierte, wird künftig auch die Migros kräftig boomen. Wo die Einwohner kontrolliert, Zivilstände geändert, die Steuern bestimmt, Gesundheit geschützt und Pilze begutachtet wurden, werden bald kluge Köpfe noch gescheiter. Und über dem luftigen Posthof liegt jetzt in solidem Beton ein Pausenhof für die Studis. Unser Quartier ist im Wandel und dieser Wandel kann freilich nicht anders als laut stattfinden.

Zum schöner Wohnen, gehört’s auch dazu, dass die gewöhnlich gewordene herrliche Ruhe hier nicht selbstverständlich ist. Und so leben wir armen Gestalten nun halt wochentags ab sieben Uhr in der Früh und tagsüber leidend mit Lärm, mit gewaltigem Lärm: donnernd und bebend, verursacht vom politischen Willen zur räumlichen Veränderung in unserer Stadt und ausgeführt von zauberhaft freundlichen und kompetenten Bauarbeitern. Allerdings ist dieser dauerhafte Lärm so gewaltig, als würde er die Seele nachhaltig durch den gusseisernen Fleischwolf drehen und das innere Fühlen mit seinen womöglich nicht vorhandenen Einzelteilen zerquetschen, sogar die inwendige Leere zertrümmern, den längst ausgebluteten Schmerz zur brutalst möglichen Entzündung bringen. Ambrose Bierce nennt diesen verfluchten Lärm zwar fast sanft: einen Gestank im Ohr. Und Cicero verkündete weiland: Cui dolet, meminit: Wer Schmerz erlitten hat, erinnert sich seiner. Und Alphonse de Lamartine sinnierte: Ja Schmerz! nur du machst Menschen erst zu Menschen ganz.

Wenn der Lärm bei uns wohnt, leiden unsere Nerven, und es schmerzen unsre Seelen. Das Fräsen und Donnern an jeder Ecke auf allen Ebenen, löst in uns eine innere Unruhe aus, lässt uns kaum schlafen. Sogar die Musikfestwochen am Graben werden plötzlich zu grob gefühltem Lärm. Ruhe, ach Ruhe, kehre endlich wieder, wir brauchen Dich! Und plötzlich lässt der Schreck nach, es herrscht wieder Stille, der Lärm verschwindet aus unserem Innern, und wir geniessen die Altstadtruhe wie eh und je. Schön.


Guido Blumer,
31.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 243.

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