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«Wandzeitung» vom 6.12.2014:

Die NZZ am Sonntag ist das kniffligste Papierpaket, das von Lesenden erobert werden muss:

Geht’s um Publizistik oder was?

Öffnet man die NZZ am Sonntag voller Lesevorfreude, fällt einem Woche für Woche flugs was aus dem Bündel – das man Zeitung nennt – zu Boden. Die Konzeption dieses inhaltlich hoch geschätzten Lesestoffs ist schlicht eine Zumutung für die sich als Rezipienten üben und nicht bücken wollenden und zahlenden Konsumenten: Drei Bünde gibt’s im taditionellen Zeitungsformat 32 mal 47 Zentimeter mit klassischen Titeln: Aktuelles aus dem Ausland und der Schweiz, Hintergrund und Wirtschaft; dann folgen die gleichformatigen Ressortbüschel Sport, Wissen und Kultur mit gestürzten Titeln und eigenem Layout; Gesellschaft im 24-seitigen Tabloid; Stil im 40-seitig gebundenen Heft; 6 Seiten NZZexecutive; das gelumbeckte Magazin für Wohnen und Immobilien Residence; der A4-Manor-Prospekt mit eingeklebtem A5-Heft mit 20 Seiten, und schliesslich dem 24-seitigen Digitec-Prospekt, 188 mal 270 Millimeter. Ups!

Die NZZ am Sonntag vom vergangenen 2. November – als Beispiel – ist ein 294-seitiges Paket von stattlichen 813 Gramm. Davon sind 357 Gramm reine Reklame, rein im Sinn von reiner Kohle, die’s für ein solches Luxusgut braucht, also harte Schweizer Franken für Werbeflächen innerhalb und ausserhalb der so wunderbaren publizistischen Zonen. Immerhin gibt’s beim Falkenstrasse-Produkt noch 456 Gramm wunderbare Publizistik, ein leichtes Mehrgewicht für gedruckte Gedanken. Aber Letzteres wohl nur, weil dieses Edelprodukt unglaublich seltsam leseunfreundlich konzipiert ist: Ein Chrüsimüsi von Bünden – eine geile Idee, aber eine absolut unpraktische!

Es ist für den journalismushungrigen Lesestoffkonsumenten eine wahre Freude, dass in der NZZ am Sonntag in all seinen Bestandteilen sehr viel kreative und hoffentlich gut bezahlte Werbung zu finden ist. Das finanziert spitzenmässigen Journalismus. Aber beim Einstieg in die geistige Textverarbeitung bin ich dann doch etwas überrascht worden: In wenig mutigen sechs Spalten auf 13 Zeilen wird erklärt, dass der Bund Impfmuffeln den Kampf ansagt. Eine relevante Geschichte, keine Frage, aber ich hätte auf den geschätzen 1200 Zeichen auf Seite 11 nicht unbedingt mehr über neue Impfstrategien erfahren wollen. Eine freigeistige Analyse, weshalb unsere Regulierungskrankeit daneben ist, hätte mich eher erfreut. Auch beim selbst kreierten Widmer-Schlumpf-Verdacht hat mich die Verlautbarung von Politgrössen enttäuscht. Liebend gerne hätte ich die NZZ-Meinung dazu gehört. Spannend, dass Branson weiterhin ins All will; Separatisten in der Ost-Ukraine eigene Wahlen abhalten; Obama eine lahme Ente zu werden droht; Deutschlands Neonazis im Hoch sind; der Skos ein grosser Umbau naht; die deutsche Verkehrspolitik verärgert; eine Medienschlacht mit intimen Chats herrscht – alles wunderbar zu lesen. Und der 49 Gramm leichte Hintergrundbund ist alles andere als ein geistiges Leichtgewicht, sondern allzu viel pointierte Meinung auf einmal, die sehr wohl über eine Stunde intellektuelle Lebensfreude vermittelt. Dann ermüdet man, ämel ich.

Aber ich habe im entsetzlichen Chrüsimüsipapier sehr viel faszinierenden Journalismus übers Auge verschlungen. Das NZZ-Zeugs ist seinen Preis wert. Danke schön.

 

 


Guido Blumer,
6.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 184.

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