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«Wandzeitung» vom 1.2.2016:

Alltägliches:

Zangengeburt.

Wenn das eigene Buch im Laden zu kaufen ist, hat man so viel Schweiss vergossen, Geduld aufgebracht und Schmerz erlitten, als ob man ein Kind auf die Welt gebracht hat. Nach Tagen des Grübelns, nächtelangen Schrei(b)phasen, wenn die Geschichte endlich rund ist, das erste Wort und das Ende mit einem Knall geschrieben sind und weniger als 1000 Seiten voll sind, ist das Werk geboren. Man hat Stimmungsschwankungen hinter sich, ging den Liebsten auf den Kecks, wanderte durch manches Jammertal und brauchte Streicheleinheiten. Bei einigen ist dieser Prozess von viel Alkohol und Zigaretten begleitet. Wenn niemand an einen denkt, droht man zu verhungern, zu verdursten oder mangels Frischluft zu ersticken. Die Augenringe reichen bis fast zu den Knien herunter.

Danach die Odyssee auf der Suche nach einem Verlag – der zahlbar ist. Ohne Selbstkostenbeitrag ist es fast unmöglich ein Buch herauszubringen. Jeder Verlag erhält täglich UNGEFRAGT an die 150 Manuskripte! Bücher zu schreiben gehört zum guten Ton und fast jeder, der gerne schreibt, glaubt auch, dass er es kann. Es gibt viel zu wenige Lektoren, die beim Querlesen jede Rosinen finden können. Vieles fällt so durch die Maschen. Die Schlauen schreiben erst ein bombastisch interessantes Exposé (Zusammenfassung) mit tollem Plot (Story) und suchen dann einen Verlag. Hat man eine Zusage, muss dann aber auch prompt geliefert werden. Ich habe Angebote bekommen, wollte aber nicht tief in die Tasche greifen und keinen Verlag im Ausland. Ich habe die romantische Vorstellung, dass ich dort spontan vorbeischauen kann und mich ein Agent persönlich betreut. Darum liegt meine Novelle immer noch im Schreibtisch und das längst angefangene Manuskript wartet seit Monaten darauf endlich weiterentwickelt zu werden.

Dabei ist alles so einfach. Ein gutes Thema muss gefunden werden, das ein möglichst breites Publikum anspricht. Die Handlung muss etwas verzwickt sein, eine Romanze muss rein, mit möglichst spektakulären Sexszenen. Ein paar unkonventionelle Lebensweisheiten, eine Prise Humor, alles kein Ding. Danach müssen Charaktere erschaffen werden mit ganz ausgefeilten Facetten. Bis zum Muttermal, dem kreisrunden Haarausfall und dem Grossvater aus Amerika. Danach verselbstständigt sich die Geschichte wie von selber. Fassungslos sitzt man wie eine Marionette vor der Tastatur. Echt wahr. Das Zusammenspiel der Figuren ist erstaunlich!

Ich habe einige Bücher gelesen, die mich enttäuscht haben. Zu platt, vorsehbar, zu viele Klischees. Schade, solche Autoren nehmen anderen die Chance. Nach einem Bestseller folgt oft das Loch. Man kann nicht mehr anknüpfen. Oder hat dann die Plattform einen Brunz zu bringen, äxgüsi. Der Vorgang der Buchherstellung ist dann noch einmal so ein Verzweiflungsakt. Ohnmächtig wartet man auf den ersehnten Termin. Der ab und an dann wieder verschoben wird. Wenn die Verkaufszahlen stimmen, hat man die Möglichkeit auf eine Neuauflage. Wenn man Pech hat, ist es ein Ladenhüter, der sich im Wühltisch wiederfindet. Mein Lieblingsschreiber hier hat es also geschafft. Ich gratuliere ihm ganz herzlich und wünsche ihm viel Erfolg!


Momo Appenzeller,
1.2.2016, 115. Jahrgang, Nr. 32.

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