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«Wandzeitung» vom 19.8.2016:

Arbeiten oder nicht:

Verleidet man der Jugend die Arbeit?

Nein, ich lasse mich nicht noch einmal über das bedingungslose Grundeinkommen aus, das ist (vorläufig?) gegessen. Soll man arbeiten oder nicht, das ist eine andere Frage. Ich kenne einige Jugendliche, die einfach nicht arbeiten WOLLEN, die mit 28 noch im Hotel Mama sitzen und es sich wohl sein lassen. Es geht mir heute darum, festzustellen, wie man der Jugend an einigen Orten das Arbeiten richtiggehend verleidet. Es gibt da ganz verschiedene Methoden:

Erstens: Man bietet den Jungen nur Arbeit an, die sonst niemand erledigen will: unangenehmes Putzen, Zeitungen bündeln, ganz einfach «niedere» Arbeiten verrichten. Das macht man vielleicht einige Tage, dann hat man genug. Zweitens: Man bietet unmögliche Raumbedingungen ohne Lüftung, im Sommer ohne Klimaanlage, ohne Fenster, zum Beispiel in Kellern oder anderen Untergeschossen. Drittens: Man verteilt unmögliche Schichten und Arbeitszeiten. Frühschichten, Nachtschichten, Sonntagsarbeit, das alles natürlich ohne jede Zulage. Viertens: Man bezahlt möglichst schlecht.

OK, es gibt noch einige andere Unmöglichkeiten, aber ich schreibe hier nur von der arschlochfreien Zone.

Warum Jugendliche arbeiten wollen hat verschiedene Gründe: man hat eine abgeschlossene Lehre und will wenn möglich in derselben Firma bleiben, was leider oft nicht geht. Oder man studiert und will oder muss in den Ferien das Semestergeld und noch einiges dazu verdienen. Das geht oft via Baby- oder Hundesitting oder als Ferienablösung als Telefonistin oder Bürokraft.

Man kann es aber mit bewährtem Rezept den Jugendlichen schwer machen oder gar ganz verleiden. Der KANTON TESSIN hat hier ein Patentrezept und eine Vorreiterrolle. Im ganzen Kanton arbeiten Studentinnen und Studenten zu absoluten Hungerlöhnen. Was wäre ein angemessener Stundenlohn für jemanden, der eine Matura hat, etwa 20 oder 22 ist und einen Sekretärinnenposten für zwei Monate übernimmt, an diesem Posten Telefone beantwortet und weiterleitet, den Computer bedient und am Schalter Personen empfängt, wie das beispielsweise in Bibliotheken der Fall ist? 30 Franken oder 40? Nein, sagt der Kanton Tessin, wir sind hier bescheiden. Also 20 oder 30? Nein, das wäre übertrieben, die haben ja keine Ausbildung. Aber unter zwanzig Franken wäre dann schon sehr mager ...

Ich schreib’s gleich sofort richtig: Sieben Franken ist der Stundenlohn für Frauen, acht für Männer. Als ich das im speziellen Fall (es ist meine Tochter) vernommen habe, war ich erstaunt und habe mich mit dem Chef der kantonalen Bibliotheken des Tessins in Verbindung gesetzt. Herr Doktor Vassere bestätigte mir diesen Lohn, die Regierung habe das einmal so beschlossen, ich könne dort reklamieren, wenn mir das nicht gefalle.

Nächste Woche kann ich Norman Gobbio fragen, ob ihm das gefällt, und ob er das überhaupt weiss. Bisher habe ich nur mit der Gewerkschaft VPOD Tessin gesprochen, die tut aber ahnungslos und sagt mir, dass eine Putzfrau im Kanton Tessin 16 bis 20 Franken kriegt. In der Stadt Zürich ist das dann schon besser: Die Putzfrau eines meiner Schüler verrechnet 46.50 pro Stunde. Aber die ist nicht mehr zwanzig, sondern schon vierzig. Lust auf Arbeit?


André Bernhard,
19.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 232.

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Standpunkte:

20.8.2016, 09:21 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Zum Vergleich: In Österreich beträgt das Einstiegsgehalt für eine Archiv-, Bibliotheks- und Informationsassistentin laut Kollektivvertrag 1710 bis 1890 Euro; im ersten Ausbildungsjahr erhält sie zum Beispiel an der Nationalbibliothek als Lehrlingsentschädigung 500 Euro.


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