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«Wandzeitung» vom 29.4.2016:

wenn ein wort noch ein wort ist:

ein alter germane am bankschalter.

zur geschichte muss ich sagen, dass sie nun auch schon wieder dreissig oder vierzig jahre her ist, und ich weiss nicht, ob sie heute noch möglich wäre. zu häufig müssen wir in der zeitung von erfolgreichen enkeltricks und anderen betrügereien lesen. die leute sind unterdessen, wohl zu recht, etwas vorsichtiger geworden. ach wieviel schöner ist doch das leben, wenn einer dem andern einfach glauben kann.

kurz, ich war in der stadt, wollte posten und musste feststellen, dass ich mein portmonnee samt ausweisen und allem zu hause gelassen hatte. da stand ich nun in der gasse zum untertor, als reicher, armer mann, und konnte nicht einmal den versprochenen käse nach hause bringen. der hafer stach mich, und ich trat in die heiligen hallen der zürcher kantonalbank ein, deren glanz ich geholfen hatte mitzufinanzieren, ging zum schalter und schilderte dem mann dort mein problem. «ich habe ein konto bei ihrer filiale andelfingen. können sie mir nicht vielleicht fünfzig franken auszahlen?» er schaute mich an. ich spürte seinen guten willen, mir zu helfen. name, geburtsdatum, das wusste ich auswendig, sogar noch die nummer meines kontos. «warten sie einen augenblick.» er ging zu seinem schreibtisch, griff zum hörer und telefonierte mit andelfingen. «ja, wie einer von den alten germanen», sagte er. ich hatte zu jener zeit – und daran mag man erkennen, wie lange das schon her ist – bart und haare üppig wuchern lassen, und das war mir jetzt von nutzen. kurz, er kam zum schalter zurück, reichte mir ein formular zum unterschreiben und händigte mir die fünfzigernote aus. es muss noch eine mit dem salomon gessner drauf gewesen sein. und ich war wieder imstande, das wirtschaftsleben am untertor zu fördern.

bemerkenswert an dieser episode finde ich dreierlei. a) im gegensatz zu heute kannten sie in der filiale, wo ich kunde bin, mein gesicht. auch ich kannte die dortigen beamten, und wenn ich diesen (die heute längst pensioniert sind) auf der strasse begegne, grüssen wir uns als bekannte. b) der mann am schalter war mit einer portion eigenkompetenz ausgerüstet. sein entgegenkommen entsprach gewiss nicht dem reglement, aber es war ihm zugestanden. und c) dieser beamte (schade, habe ich mir seinen namen nicht gemerkt) hatte eine prise humor. er konnte es sich leisten, mich in einem lockeren ton mit einem alten germanen zu vergleichen. insgesamt ein ausdruck von kundennähe. wenn ich heute meine filiale anrufen will, so verbindet mich der computer, ohne dass er mich fragt, mit einer person im zürcher hauptsitz. ein weiteres stück persönlicher beziehung ist, indem das unternehmen gross geworden ist, für etwas effizienzgewinn verloren gegangen. da fällt mir der spruch ein, den ich hinten auf einem morris-cooper lesen konnte: lieber haben wir einfach die kleinen.

 

 


Alfred Vogel,
29.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 120.

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