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«Wandzeitung» vom 4.8.2016:

Freiwilliger Unkostenbeitrag:

Eintrittsgeld für das Fraumünster.

Ich mag den Sommer in Winterthur. Die ruhige Zeit, die es erlaubt, wieder einmal Sozialkontakte zu pflegen. Vor ein paar Tagen kam der Sohn einer guten Freundin aus Deutschland zu Besuch. Geniesserisch spazierten wir durch die Altstadt von Winterthur und schlenderten über den Markt. Selbstverständlich machten wir einen Abstecher nach Zürich, um dem jungen Mann auch einen Eindruck dieser Stadt zu vermitteln. Vom Bahnhof Stadelhofen flanierten wir durch die Altstadt und setzten uns einen Moment ins Grossmünster. Erinnerungen an die Masterfeier meiner Tochter wurden wach und wir waren beeindruckt von der Stimmung in dieser Kirche, die tatsächlich «lebt».

Ich mag es, mich in Kirchen umzusehen, hinzusetzen, einen Moment innezuhalten und die Stimmung aufzunehmen. Als Mitglied der reformierten Kirche schenken mir Kirchen mit einer spirituellen Atmosphäre manchmal ein Gefühl der Geborgenheit oder inneren Ruhe. Darum war es mir wichtig, unserem Gast – ebenfalls Mitglied der reformierten Kirche – auch das Fraumünster zu zeigen. Aber oha, der Eingang war verstellt. Eine Abschrankung leitete uns vor ein Karbäuschen, davor eine junge Frau, die forsch fragte, wie gross unsere Gruppe sei plus anmerkte, sie würden einen freiwilligen Unkostenbeitrag einziehen für den Besuch der Kirche. Dafür bekämen wir einen Prospekt mit allen wichtigen Informationen. Hätte ich mich in die Kirche setzen wollen, um zu meditieren, hätte ich es begründen und mich quasi als Zechprellerin am Karbäuschen vorbeidrücken müssen.

Im Kircheninnern standen dann die Gruppen herum. Sie hatten ebenfalls (freiwilligen) Eintritt bezahlt und waren darum berechtigt, die Kirche wie ein Museum zu betrachten, ihre Betrachtungen zu kommentieren und auszutauschen.

Spirituelle Stimmung? Ruhe? Geborgenheit? Nicht im Museum! Der Besuch hinterlässt einen schalen Nachgeschmack und zuhause surfe ich auf der website des Fraumünsters. «Gruppen, die auf Audioguide- oder Flüsterführungen mit unserer Technik verzichten, erhalten obligatorisch eine kompakte Führungsbroschüre in acht Sprachen zur Auswahl zum Preis von je 2 Franken/Euro. Fakultativ erhältlich ist eine ausführliche bebilderte Langbroschüre für 5 Franken/Euro.»

Aha. Ich kann wählen: Entweder nehme ich an einem kirchlichen Anlass teil (dann ist das Karbäuschen vermutlich geschlossen) oder ich bin kulturell interessierte Besucherin und bezahle Eintritt. Oder aber ich müsste begründen, dass ich als spiritueller Mensch gerne in der Kirche zur Ruhe kommen möchte und es daneben finde, dafür Eintritt zahlen zu müssen. Das lasse ich aber sicher bleiben, denn danach fände ich kaum zur gesuchten inneren Ruhe oder auch Begegnung mit der Unendlichkeit. Und ich will nicht zum Anschauungsobjekt für Museumsbesucher werden. Wohlverstanden, die zwei Franken reuen mich nicht. Ich hinterfrage die Haltung der Verantwortlichen.

In unserer wertleeren Gesellschaft suchen viele Menschen nach innerem Halt, nach seelischen Strukturen. Da wünsche ich mir gerade von der reformierten Kirche die bescheidene Grösse, Raum und Werte zu bieten, nicht den Raum zu verkaufen.


Marlies Bänziger,
4.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 217.

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