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«Wandzeitung» vom 5.12.2014:

Ein Kahlschlag kommt selten allein:

Architekten lösen die Pfaffen ab.

Sie laufen meistens in schwarzen Pullovern herum, haben ein Mäppchen unter dem Arm und sagen den Menschen, was richtig ist. Wer aufmuckst, wird verbannt oder zumindest in die Schranken gewiesen. Vermutlich nehmen sie in Zukunft auch noch die Beichte ab. Die zwölf gekappten Silberlinden an der Rudolfstrasse haben einen Aufschrei ausgelöst. Es sei nicht anders gegangen, ohne Nacht- und Nebelaktion hätte es aus der Bevölkerung Widerstand gegeben. Die SBB, der neue Immobilienheini, stehe unter Zeitdruck. Anders am Brühlberg. Dort hätten sich die Architekten schon jahrelang in den Hang versetzt, um ihn vertikal zu verriegeln. Ein reales Meisterwerk seien die ersten bewohnbaren Sprungschanzen der Schweiz.

Auch darf von einem Energieloch in Neu-Hegi nicht die Rede sein. Wer solches in Erwägung zieht, gehört als Hinterwäldler abgestraft. Das gleichstarke Energieloch finden wir aber just beim Superblock, wo die Stadtregierung mitsamt Verwaltung hinziehen will. Früher schaute die Kirche darauf, die energie- und kraftvollsten Orte aufzufinden. Dieses Wissen scheint den neuen Pfaffen abzugehen. Sie predigen die Urbanität dort, wo kein Herz für die Gemeinde schlägt. Zudem erfinden sie Namen, die an Parkhäuser erinnern: «Werk 1», «Brühlberg Süd».

Wir hatten den Kindern auch «Riegel» gegeben. Sie waren vitaminreich, machten kräftig und stark. Heute mauern die Architekten mit Bauriegeln die Eingänge von Winterthur zu, blockieren der Stadt den Sauerstoff und schädigen ihr Immunsystem. Dennoch soll in der Stadt gearbeitet, gehegt, gepflegt und Steuern bezahlt werden, so dass sich die Schulden wieder tilgen.

Natürlich lassen sich auf andere Weise Baumwesen fällen. Natürlich hatte Winterthur bereits einen Grössenwahn, als die damaligen Stadtregierungen die Türme und Tore der Altstadt schleifen oder aus den Steinen des Klosters Beerenberg den Club zur Geduld bauen liessen. Alles sind alte Sünden, die energetische Löcher in die Stadt reissen – und auch etwas am Geist der Politiker knabbern?

Heute sind es Pionierstrassen und Innovationsparks, die das Schicksal einer Stadt bestimmen. Waren es früher die Pfaffen, so geben jetzt die Architekten vor, wie und wo regiert werden soll. Sie setzen sich Denkmäler, die in ihrem Ausmass an Kirchenbauten erinnern. Einige Politiker, einzelne Fachhochschuldirektoren und neuerdings auch die SBB spielen die Steigbügelhalter dafür. Wer sich ein Bild solcher Energielosigkeit machen will, spaziere in Zürichs «Europa-Allee». Lebloser ging's nicht, und abends sind die Beizen mehr leer als beseelt.

Ja, es geht um die Seele von Winterthur. Die Stadtseele verliert ihr Herz. Auch die lachenden Studenten kompensieren den Pulsschlag der Gemeinde nicht. Der Nachtwächter am Kirchplatz wird arbeitslos. Das macht die Menschen, die hier leben und arbeiten müde und unsicher. Sie werden geschwächt. Man stelle sich nur vor, ein einziger energiearmer Verwaltungsmitarbeiter bekäme im Superblock das Norovirus. Die ganze Stadt läge in Kürze lahm.

Vielleicht ist das ein zu trauriger Artikel? Wir wünschten uns doch auf Weihnachten und Neujahr eine fröhlichere und heiterere Stadt.


Heiner Dübi,
5.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 183.

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