Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 10.7.2014:

Rückspiegel:

Eine Feier für Emma Osterwalder, Pauline Dünki, Rosa Stauber...

Sicher, sie war nett, die offizielle Zeremonie zur Feier des Stadtrechts am 22. Juni. Der Stadtpräsident begrüsst eine irrsinnig lange Liste von offiziellen Gästen, und der Bundesrat macht nette Aussagen über seine «Lieblingsstadt». Die vereinten Stadtharmonien spielen «Hawai 05», eine etwas uninspirierte «Klangwolke» dröhnt über den Bahnhofplatz. Das Bürgertum feiert sich selbst. Die Sulzer, Rieter, Reinharts etc. Diejenigen, die Winterthur wirklich gross gemacht haben, sind kein Thema: die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken.

Vor einem Monat habe ich an dieser Stelle im Zusammenhang mit der Reichtumsverteiliung einen Blick zurück ins 1864 geworfen. Diesmal schaue ich zurück ins 1914. Eben hat der zweite Weltkrieg begonnen. Töss ist noch eine eigene Gemeinde, die SP stellt die Mehrheit im Gemeinderat. Die Politik ist zwar eine reine Männerdomäne, aber die Arbeiterfrauen in Töss sind unzufrieden. Sie fordern zuerst die SP auf aktiv zu werden. Auf Druck der Frauen beschliesst der Vorstand der SP Töss Anfang August eine Eingabe an den Gemeinderat, mit den folgenden Forderungen:

Die Schaffung einer Volksküche. Die Erweiterung der Speisung von Schülern. Eine aktive Lebensmittelpolitik als Gegenaktion zur Preiswucherei. Die Errichtung einer besonderen Fürsorgestelle für die Familien einberufener Wehrmänner und Notleidener überhaupt. Die Erweiterung der Armenpflege. Die Ausdehnung des Rechtsstillstandes auf die Ausweisung aus Wohnungen für die Familien der Wehrmänner. Ein Asylrecht der Gemeinde für Ausländer.

Die Situation während des Weltkrieges politisiert die Arbeiterfrauen in Töss zunehmend, und schon 1915 wird die «Sozialistische Frauen und Töchterorganisation Töss» gegründet, die 1917 dann die SP Töss ultimativ auffordert, eine Initiative für ein Frauen Stimm- und Wahlrecht zu lancieren. Gleichzeitig gelingt es den Frauen, in Töss selbst gewisse Anliegen auf Gemeindeebene durchzusetzen – etwa die Einstellung einer Gemeinde-Hebamme, die Einführung eines Stillgeldes für Mütter oder einer Witwenrente. All diese Errungenschaften werden dann 1922 bei der Eingemeindung von Töss in die Stadt Winterthur wieder abgeschafft – was die «Frauenpartei» in eine arge Krise stürzt. Die meisten Frauen treten aus und in die kommunistische Partei ein. Mehrere Jahre wird die Tössemer Frauen durch ein männliches Mitglied der SP präsidiert...

Am 22. Juni 2014 werden auf dem Bahnhofplatz zu Winterthur die Herren Sulzer, Rieter, Reinhart usw. als die Schöpfer des modernen Winterthurs gefeiert. Auch Pauline Dünki, Emma Osterwalder, Rosa Stauber, Anna Jud und ihre Mitstreiterinnen der «Sozialistischen Frauen- und Töchternorganisation Töss» waren Pionierinnen, die unser heutiges Winterthur geprägt haben. Auch sie haben es verdient, gefeiert zu werden. Gerade in der heutigen politischen Stimmung.


Matthias Erzinger,
10.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 35.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.