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«Wandzeitung» vom 16.4.2018:

Wie können Menschen Schicksalsschläge überwinden?

Schwierige Zeiten.

Letztes Mal schrieb ich über die Verdingkind-Aufarbeitung in der Schweiz. Dass sich weniger Betroffene für eine Wiedergutmachung gemeldet haben als erwartet, dass eine Kontroverse darüber entstanden ist, ob Wiedergutmachung überhaupt ein Thema und ein Bedürfnis sei unter den Betroffenen.

Ja, das ist es, aber die Sache ist komplex. Wer traumatisiert ist, macht nicht einfach fröhlich die hohle Hand, sobald sich Gelegenheit bietet. Während der Recherchen zu diesem Thema traf ich eine 61-Jährige Bernerin, die eine schreckliche Kindheit erlebt hatte und sich dann mit dem Gesuch um finanzielle Wiedergutmachung schwertat.

Wenn diese Frau von ihrer Kindheit und Jugend erzählt, kann man als Zuhörer kaum gefasst bleiben. Wie ist es möglich, dass Kinder diesem Horror ausgesetzt werden, dazu in unserer zivilisierten Schweiz? Man muss sich keine Illusionen machen, solche Fälle wären auch heute noch möglich. Zwar gibt es die Versorgungsgesetze nicht mehr, die den Behörden so weitreichenden Handlungsspielraum gaben. Und heute wird das Wohlbefinden eines Kindes sicher höher gewichtet als damals in der Nachkriegszeit, wo Sitte und Moral oberste Priorität hatten und Kinder von Leuten, die darin nicht genügten, von Vornherein abgeschrieben wurden. Doch erstens ist das alles noch gar nicht so lange her, die entsprechenden Gesetze wurden erst 1981 abgeschafft. Und zweitens haben im Fall der Bernerin nicht nur die Behörden versagt, sondern auch die Eltern. Sie waren unfähig, Kinder grosszuziehen, sie hätten keine Kinder haben sollen. Solche Fälle gibt es zu allen Zeiten.

Noch ein Erlebnis der letzten Tage: Ehemalige Nachbarskinder besuchten uns am Wochenende, sie sind im Teenageralter. Ihre Mutter ist vor einem Jahr an Krebs erkrankt, seither leben sie mit der unmittelbar drohenden Gefahr, sie zu verlieren. Hoffnung bestehe kaum noch, hiess es. Als ich fragte, wie es der Mutter gehe, sagten die Kinder, sie wüssten es nicht. Die Mutter sei vor einigen Tagen aus dem Spital ausgetreten, aber nicht heimgekommen und sie habe sich nicht gemeldet. Sie machten sich Sorgen. Menschen kommen mit schwierigen Situationen zurecht und sie kommen irgendwie darüber hinweg. Sie verarbeiten Krieg, Misshandlung, den Verlust Nahestehender und Krisen aller Art. Sie können danach, wenn sie es verarbeitet haben, noch immer ein gutes Leben führen. Nicht in jedem Fall allerdings. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker – das stimmt nicht immer. Bei der Bernerin haben die Erlebnisse der Kindheit Wunden hinterlassen, die heute noch wehtun. Die immer mal wieder aufbrechen. Andere sind so resilient, dass ihnen die Vergangenheit als misshandeltes Verdingkind nichts anhaben kann. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man ihnen zuhört.

Was macht Menschen überlebensfähig? Warum können das die einen besser als die anderen? Welche Eigenschaften braucht es, um seelisch zu überleben?


Claudia Blumer,
16.4.2018, 117. Jahrgang, Nr. 106.

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