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«Wandzeitung» vom 31.7.2018:

Kurze Geschichten über kleine Nöte im Alltag (4/7):

Eine Unverschämtheit der anderen Art.

Olivia hatte ja schon viel Unverschämtes erlebt in ihrer Zeit als selbstständige Partyköchin. Ständig wurden sorgfältig aufbereitete Offerten auf ein unerträglich tiefes Preismass heruntergedrückt, oder es wurden plötzlich Leistungen erwartet, die nie besprochen worden waren – alles im Preis inbegriffen natürlich. Die Zeiten waren hart geworden in ihrem Business.

Umso krasser, was sie nun erlebte. Unfassbar unverschämt sogar, nur mit anderen Vorzeichen. Ein aufgeblasener Auftraggeber, der Geld wie Heu zu haben schien, hatte sie dafür engagiert, seine Gäste vier Tage lang auf seinem Privatschiff mit allem Drum und Dran zu verköstigen. Er wollte weder einen Voranschlag noch eine genaue Aufstellung der Menüs sehen, sondern schmiss ihr grosskotzig das Vierfache dessen hinterher, was sie für eine exquisite Bewirtung hätte aufwenden müssen. Selbst wenn sie die Menge der Mahlzeiten verdoppelt, ausschliesslich Etepetete-Delikatessen für die Zubereitung verwendet und sich selbst das Honorar verdoppelt hätte, wäre sie nicht auf den Preis gekommen, den der Krösus zu zahlen bereit war.

Kann ich so viel Geld annehmen?, fragte sich Olivia, und sinnierte darüber, was sie damit anfangen würde. Sie beschloss, es zu tun. Einmal Ferien in der Karibik, einfach mal etwas Luxus geschenkt bekommen, das kann man doch nicht ablehnen. Sie war zufrieden.

Doch die Zufriedenheit sollte nicht lange anhalten: In der Nacht beschlich Olivia das schlechte Gewissen. Wie verdient dieser aufgeblasene Typ eigentlich sein Geld? Sitzt er nicht in der Geschäftsleitung eines Rohstoffkonzerns? Sie hatte doch auch mitbekommen, dass dort dreckiges Geld verdient wurde, Geld, das der ausgebeuteten Arbeiterschaft vor Ort dringend fehlte. Nein, es war einfach nicht richtig.

Nach einer schlaflosen Nacht stand ihr neuer Entschluss fest. Sie konnte auf keinen Fall annehmen! Aber das Geld ablehnen und dem Typen in den Arsch zurückschieben ging auch nicht, der würde sie bloss auslachen.

Eine Freundin, der sie am folgenden Tag von ihrem Dilemma erzählte, bereitete dem Hin und Her ein jähes Ende. «Doch, nimm das Geld», sagte sie im Befehlston. «Und schlage noch ein extra Trinkgeld drauf». Alles was über ihren Lohn hinausgehe – und das waren dann immer noch ein paar Tausender – könne sie gut investieren: Nicht in eine Luxusferienreise (eine Wanderung an der reinen Luft im Naturparadies der Bündner Berge würden ihr nämlich besser bekommen). Und so machte Olivia den Rohstoffhändler zum ungewollten Entwicklungshelfer. Sie investierte das Geld in seinem Namen tatsächlich in die Karibik – in ein Infrastrukturprojekt in HaÏti. Dort also, so wusste ihre Freundin, wo es den Menschen an allem fehlt.

Olivia schlief in der nächsten Nacht unverschämt gut.

 


Karin Landolt,
31.7.2018, 117. Jahrgang, Nr. 212.

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