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«Wandzeitung» vom 9.3.2016:

EIN SATZ:

Famous last words.

Entweder geht diese scheussliche Tapete – oder ich. OSCAR WILDE

Mit letzten Worten ist es so eine Sache. Bei Volksentscheiden beispielsweise gibt es sie nicht. Obschon es manchmal wünschbar wäre. Nur bei Menschen sind letzte Worte letzte Worte. Wir würden es allerdings auch bei abscheulichen Gestalten nicht zugeben, dass wir darauf hoffen, dass sie endlich geäussert werden. Auch nicht manchmal.

Egon Friedell hat Goethe unterstellt, sein zuletzt gehauchtes «Mehr Licht» hätte sich darauf bezogen, dass er Milch in seinen Kaffee gewollt habe. Ein Frevel: Der literarische Gigant des heiligen römischen Reiches deutscher Nation soll sich zum Abschied vom Erdenrund mit der schnöden Thematik eines Gebräus auseinandergesetzt haben. Unfasslich! Wildes letzte Worte bereiten hingegen weniger Schwierigkeiten. Obschon am Schluss verarmt und geächtet, passt zu ihm, seinen Tod wie auch schon sein ganzes Leben zuvor inszeniert zu haben.

Wilde hätte in der Schweiz gelebt haben können, wo man ebenfalls Meister in der Inszenierung von Nieder- und andern Gängen ist. Wenn wir auch am letzten Februarwochenende mit einem blauen rechtsstaatlichen Auge und einer grossen Röhre davongekommen sind. Am Niedergang selbst ändert das nichts. Auch nicht, wenn wir berücksichtigen, dass jede Epoche in ihrer Zeit den Niedergang erblickt. Und auch nicht, wenn wir zusätzlich bedenken, dass sich jede Epoche bewusst war, dass auch die vorangegangene den Niedergang heraufbeschworen hat, dieser aber nicht eingetreten ist, so dass sich die nachfolgende bemüssigt fühlte zu behaupten, dass er jetzt aber wirklich und wahrhaftig eingetreten sei. In dieser Tradition behaupte ich das heute auch. Nur, dass es heute wirklich und wahrhaftig so ist.

Ein Beweis gefällig? Oscar Wilde hatte wie unser Land auch eine grosse Röhre. Nur dass beim Dramatiker etwas dahinter steckte, nämlich Geist. Etwas, das im Alpenland höchstens noch in homöopathischer Dosis zu finden ist.

Was Wilde in London recht, ist uns in der kleinen, inzwischen fast grossen Stadt, die wir alle gut kennen, billig. Er hat ja bekanntlich nicht nur sein Geld zum Fenster hinausgeworfen, wobei ich mich nicht dazu versteigen möchte, dies von der kleinen Stadt zu behaupten. Er hat dem Geld auch seine Briefe folgen lassen. Wilde war der Weg zur Post zu weit, er warf die Briefe aus dem Fenster. Jemand würde sie auflesen und aufgeben. Nur schon die fast 1000 veröffentlichten Seiten seiner Briefe zeigen, dass er richtig lag.

Seit Schliessung der Post am Obertor, an der diese Kolumne aushängt, ist das auch in der kleinen Stadt eine Option. Ein herrenloser Brief auf der Strasse führte allerdings beim herrschenden Sicherheitsbedürfnis sogleich zum Einsatz eines Sprengstoffentschärfungstrupps, den das Schreiben nicht überstehen würde. Im Brief enthaltene allfällig letzte oder andere Worte blieben der Nachwelt vorenthalten.

Es ist eine vergebliche Hoffnung, darin den Grund zu sehen, dass hierzulande Geist nur in homöopathischer Dosis zu finden ist.

 


Adrian Ramsauer,
9.3.2016, 115. Jahrgang, Nr. 69.

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