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«Wandzeitung» vom 30.8.2016:

Was noch nicht ist, kann noch werden:

Auf dem Zeltplatz gibt’s Europa nicht.

Das Gras unter dem Zelt wächst mit demselben Wasser. Die Menschen teilen dieselbe Währung und fahren dieselben Autos. Doch was auf Zeltplätzen am Oberlauf der Donau gilt, ist an deren Mündung ins Schwarze Meer irrelevant. Selbst eingefleischte Fans der Europäischen Idee müssen anerkennen, dass die normalen Ferienmenschen im Nordwesten und im Südwesten des Kontinentes trotz des seit Jahrtausenden an ihnen vorbeiströmenden, gleichen Flusses immer noch wenig verbindet. Gut ablesen, lässt sich das am Verhalten der europäischen Ferienmenschen auf dem Zeltplatz. Da treffen nicht verschiedene Kulturen zusammen, sondern verschiedene Welten.

Wir liegen unweit von Ulm an der Donau. Der Zeltplatz ist halb leer. Zelte und Wohnwagen stehen sauber geordnet und plaketiert weit auseinander. Manche haben Hecken gezogen, damit man ihnen nicht in die festverankerte Stube blickt. Es ist Mitternacht und wir sind noch munter. Wir erzählen uns den Tag, den wir wie immer diesen Sommer auf dem Velo und beim Baden verbrachten. Unser Gelächter wird jäh unterbrochen. «Sie gehören doch auch der deutschen Sprachkultur an. Also können Sie verstehen, dass wir jetzt Nachtruhe haben.» Der Schwabe bleibt freundlich aber bestimmt: «Sollten Sie Ihr Gelächter nicht einstellen, werde ich sie bei der Verwaltung melden müssen.» Wir lenken ein, da wir am nächsten Morgen früh aufstehen wollen und deshalb schlafen sollten. Als der Schwabe abzieht, hören wir einen Veloständer klicken. Wie stark kann ihn unser Gelächter gestört haben, wenn er mit dem Fahrrad anfahren musste, um uns ruhig zu stellen?

Am Unterlauf der Donau geraten wir eine umgekehrte Situation. Auf dem Zeltplatz in Rumänien sind sämtliche Schattenplätze ausgefüllt. Die Behausungen stehen kreuz und quer auf der Wiese. Verwaltung beschränkt sich auf die Eingangsbarriere. Wir stellen unser Zelt im Schatten dreier Bäume auf, wollen aber unter freiem Himmel schlafen. Als wir spät abends vom Essen zurückkehren, finden wir unseren Schlafplatz von einer Wagenburg umzingelt. Nebenan hat ein Ferienmensch zu einer Party geladen. Da stehen Dutzende von Tischen und Stühlen und es läuft lauter, rumänischer Schlager. Die Gäste haben nahtlos an unseren Schlafplatz parkiert. Beim Versuch einzuschlafen, stosse ich die Füsse am Pneu eines deutschen Fahrzeuges mit rumänischem Kennzeichen an. Eine unserer Mitreisenden legt aus Protest ihren Bikini zum Trocknen auf die Kühlerhaube. Immerhin ist auch unsere Wäscheleine versperrt. Um etwa zwei Uhr morgens ist die Party aus. Die ausgelassenen Rumänen verabschieden sich bei laufendem Motor und eingeschaltenem Scheinwerfer. Einer steigt noch einmal aus, um den Bikini an die Wäscheleine zu hängen. Als wir gegen den Lärm protestieren, nicken sie freundlich zum Abschiedsgruss. Sie scheinen nicht zu verstehen, dass und warum wir uns gestört fühlen.

Als wir diese beiden Zeltplatznächte am nächsten Morgen vergleichen, stellen wir fest, dass beide nicht auf demselben Kontinent, sondern auf verschiedenen Planeten stattgefunden haben. Wir denken: Wenn sich diese Planeten auch kulturell annähern sollen, dann dürfte das auch mit bestem Willen nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte dauern.


Thomas Möckli,
30.8.2016, 115. Jahrgang, Nr. 243.

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