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«Wandzeitung» vom 13.1.2017:

Die meisten Amerikaner wollten vor allem keine Hillary:

Geben wir Trump eine Chance.

Meine Coucousine kommt aus Texas und arbeitet befristet als Meeresbiologin in Norddeutschland. Ihr Begleiter ist ihr hochbetagter, topfitter Grossvater, noch im letzten Jahrhundert im Thurgau als Pöstler pensioniert. Beide sind bei uns zu Besuch an Heilig Abend. Das Gesprächsthema liegt auf der Hand. Ich muss zwischen den beiden mir ziemlich entfernten Verwandten übersetzen. «Wie haben Deine deutschen Arbeitskollegen nach Trumps Wahl auf Dich als Amerikanerin reagiert?» – «Sie standen unter Schock und fragten, ob ich jetzt in Deutschland um Asyl nachsuche.» – «Und, möchtest Du das tun?» – «Nein, aber ich würde gerne in Europa weiter arbeiten, das hat nichts mit Trump zu tun.»

Die Coucousine scheint keinen Anlass geben zu wollen, eine Diskussion um Trumps-Wahl und deren weltpolitische Folgen zu führen. Ihr Grossvater schon: «Geben wir Trump eine Chance», sagt er selbstgefällig; so als ob wir in der Schweiz über Leben oder Sterben eines US-Präsidenten entscheiden würden. Die Amerikaner hätten eben genau wie die Schweizer begriffen, dass es so nicht weitergehen kann. Darum wählten sie «Make America great again und eine Mauer gegen Mexiko», mischt sich die Coucousine doch noch ein. Und die Schweizer? «Jetzt wird sich zeigen, wie gut es ist, dass wir nicht in der EU sind», springt der Rentner von Bundesbern über den Atlantik und zurück nach Brüssel.

Was haben Trump, die EU und die Schweiz miteinander zu tun? «Trump könnte Amerika für die Amerikaner wieder stark machen. Die Regierungen der meisten europäischen Länder spüren nicht, was ihr Volk will. Und wie die Flucht des Berliner Attentäters zeigt, haben die nicht mal ihre Grenzen unter Kontrolle», übersetze ich den Grossvater zuhanden der Coucousine. Also sollen die USA wie die europäischen Länder ihre Grenzen wieder schliessen? «Lieber nicht, dann würde es für mich und Hundertausende andere meiner Generation noch schwieriger, einen guten Job zu finden», sinniert die Coucousine.

Eher aus Anstand, denn aus Interesse an der Lebenszukunft seiner Enkelin, hakt der Grossvater nach: «Warum haben denn auch junge Amerikanerinnen einen Präsidenten gewählt, der Amerika abschotten will?» – «Die meisten wollten vor allem keine Hillary. Darum bekamen sie Trump.»

Vielleicht verhält es sich dies- und jenseits des Atlantiks tatsächlich ähnlich, dämmert es der ganzen Weihnachtsgesellschaft, als der jüngste Spross der Familie Jingle Bells übers Appenzeller Hackbrett klimpern lässt: Wie die Amerikaner die Clintons scheinen immer mehr Europäer das europäische Establishment nicht mehr zu wollen. Statt Trump bekommen sie demnächst vielleicht Le Pen, Wilders, noch mehr Alternative für Deutschland und andere rechtsnationale Bewegungen. So hat es der Grossvater vielleicht nicht gemeint, aber Trump eine Chance geben, heisst wohl den längst in uns allen sitzenden Trump von Bern bis Berlin an die Macht zu befördern.

Völker Europas wisst Ihr was Ihr wollt? Ich will das Schneidebrettchen made in China mit den herzigen, aufgedruckten Nordsee-Seehunden das meine amerikanische Coucousine zu Heiligabend über freie Grenzen vom Berliner Weihnachtsmarkt mitgebracht hat!


Thomas Möckli,
13.1.2017, 116. Jahrgang, Nr. 13.

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