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«Wandzeitung» vom 25.1.2017:

EIN SATZ:

Geistesblitze.

Geist ist geil. ELSE PANNEK.

Es sei beklagt und betrauert: Geist weht nur in homöpathischen Dosen in der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen. Vom kleinen Internetz, das wir noch besser kennen, ganz zu schweigen. Wir sind höchstens blinde Hühner, die im besten Fall auch mal ein Korn finden. Ist es gefunden, herrscht Freude, Fanfaren erklingen, Hörner und Trompeten. Heureka!

Deshalb ist es sehr, sehr still in der kleinen Stadt. Und es liegt nicht daran, dass die blinden Hühner ausgestorben wären, es gibt immer mehr von ihnen, aktuell 112 096. Auch die Körner sind nicht verschwunden. Vielleicht sind sie nicht mehr alle so biologisch wie zu jenen Zeiten, in denen sie Hauptnahrungsmittel waren und zu Brei zerstampft dreimal am Tag in der Holzschüssel auf den Tisch kamen.

Man muss der Stille und uns zugutehalten, dass Geistesblitze wie alle Blitze seltene Erscheinungen sind. Der Begriff ist drum auch nicht auf die Erhellung unserer Zentraleinheit zurückzuführen, sondern auf die Seltenheit des Auftretens. Im Winter, wenn es kalt ist, erscheinen sie noch seltener.

Die Angelegenheit mit den Geistesblitzen wird noch gravierender, wenn wir bedenken, dass wir Blitze nicht festhalten können. Kaum ist unser Hirngehäuse erhellt, verlöscht der Blitz und – allen unseren bisherigen Erfahrungen zum Trotz – schreiben wir den Gedanken nicht auf, weil er schliesslich so genial war, dass es undenkbar ist, dass wir ihn vergessen könnten. Weshalb etwas aufschreiben, das der Menschheit auf ewig zu Ruhm und Ehre gereichen wird, etwas ebenso Unbeschreibliches wie Unvergessliches.

Heute Morgen wurden mir, Privilegiertem der Götter, gleich zwei Geistesblitze zuteil. Zweimal drang etwas in mein Hinrgehäuse, entflammte es und verschaffte ein Wohlgefallen. Der Genius war unbeschreiblich, ein Aufschreiben erübrigte sich selbstredend. Ich würde nicht weniger als zwei Kolumnen aus einem Guss formulieren können. Am Nachmittag würde ich mich an den Schreibtisch setzen und hätte nur noch ein paar Sätze um den genialen Kern herumzubasteln.

Wie gewonnen, so zerronnen. Am Nachmittag fiel leiser Schneefall, es herrschte eine feierliche Stille. Auch in meinen Gedanken. Es war herrlich ins weise Gewusel zu schauen, wohin nicht nur fast alle Sorgen entschwunden waren, sondern auch die beiden Geistesblitze. Still und ohne zu leuchten. So bleibt mir neidvoll, die Lyrikerin Else Pannek zu zitieren, die aus einem drögen Werbespruch ein wahres Kunstwerk gezaubert hat.

Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit aber wurde ihr nicht ein Geistesblitz zuteil, sondern sie erarbeitete das Bonmot unter tagelangem Malochen und Nachdenken. Das ist nämlich der andere Weg der blinden Hühner, ein Korn zu finden. Sie mühen sich, picken unentwegt hin und her und kommen so zum Erfolg. Mir und – das beweist die Stille – vielen andern ist das zu anstrengend. Da lasse ich lieber das Geniale und hoffe, dass die Eingebungen wiederkommen. Und dass ich sie nie mehr vergesse. Oder vielleicht doch einmal aufschreibe.

Ich werde es Sie lesen lassen.


Adrian Ramsauer,
25.1.2017, 116. Jahrgang, Nr. 25.

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