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«Wandzeitung» vom 13.12.2014:

Schon Sokrates und Aristoteles fragten sich:

Hat die Jugend schlechte Manieren?

«Die Jugend (...) hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute (...) widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft (...) und tyrannisieren ihre Lehrer.»

– «Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.»

Na, wen haben Sie sich vorgestellt, als Sie diese Zitate gelesen haben? Den älteren Herrn im Bus, der schockiert auf tief hängende Hosen und Stöckelschuhe starrt und sich dann leise, aber hörbar mit seiner Angetrauten über «di hütig Jugend» auslässt? Sie, nickend und die gehandschuhten Finger brav über das Handtäschchen auf den Knien gelegt, verdreht ab und zu die Augen, um ihn zu bestärken. Nein, die Zitate stammen nicht von Zeitgenossen, sondern von Sokrates (469-399 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.). Schon damals waren ältere Generationen mehr als enttäuscht darüber, in welche Richtung sich die Jüngeren entwickeln sollten. Und auch diese grossen Denker schienen im Rausch der selbstherrlichen Kritik an der Jugend vergessen zu haben, dass sie diejenigen waren, die diese ach so furchtbare Generation miterzogen und -geformt hatten.

Also nicht, dass ich persönlich den Kontakt mit gewissen Jugendlichen besonders schätze. Auch ich verfluche mich, wenn ich bemerke, dass ich genau jenes Zugabteil gewählt habe, in dem ein paar Vollidioten Bushido und Co. plärren lassen. Auch mein Hirn schmerzt, wenn ich Sätze höre wie «Gömmer McDonalds!». Dann flüstere ich jeweils leise vor mich hin: «Zu McDonalds, wir gehen zu McDonalds», wie, um die grammatikalische Sünde wieder gut zu machen.

Sind wir Jungen also schlimmer als frühere Generationen? Das diesjährige Jugendbarometer, eine Umfrage unter 16- bis 25-Jährigen in der Schweiz, zeigt ein eigenes Bild: Rückschritt zum traditionellen Familienleben mit Haus und Kind, kein grosses Interesse an politischen Veränderungen, das Problem sind grundsätzlich die Ausländer – also die anderen. Ja, aber überrascht uns das? Welche Werte wurden den Kindern, die nun langsam zu Erwachsenen werden, denn mitgegeben? Und von wem? Unsere Generation hat keinen grossen Krieg, gegen den sie demonstrieren kann. Keine direkt spürbare Ungleichbehandlung von Geschlechtern, gegen die man revolutionieren kann, indem man sich als Frau den Kopf rasiert, die Beine aber nicht mehr.

Nein, unserer Generation wurde gezeigt, dass sie bereits alles hat. Für die Gleichberechtigung kämpfen? Ein alter Hut, mein Freund macht ja die Wäsche und putzt das Bad. Das reicht doch. Wozu die mühsame Beschäftigung mit Politik? Betrifft mich doch eh nicht, und «die da oben» machen sowieso, was sie wollen. Kommen Ihnen diese Argumente auch so bekannt vor? Soll ich Ihnen verraten, von wem ich sie beim Flyern und Unterschriften sammeln auf den Strassen Winterthurs am meisten höre? Ein Tipp: Die Jugendlichen sind es nicht. Deshalb erfreue ich mich an jeder älteren Person, die die positiven und eben auch die negativen Veränderungen in meiner Generation mit einem Schmunzeln hinnimmt und zum ebenfalls ergrauten Ehepartner flüstert: «Erinnerst du dich, wie wir damals waren?»


Anita Hofer,
13.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 191.

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