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«Wandzeitung» vom 7.12.2015:

Die ahornähnliche Platane, Nummer 12482, am Oberen Graben 48, vor dem Tibits ist verunglückt:

Mein Freund, der Baum, ist tot.

Chauffeur Aldo, Bernhard oder Claudio, ämel ein polizeilich als anständiger Fahrer geadelter Mensch setzt sich, wie Tag für Tag üblich, auch nachmittags in den ihm überaus vertrauten Lastwagen und fährt selbst im Nebelmonat routiniert aus seiner rheinischen Heimatstadt Basel. Sein Auftrag ist, Winterthur an der Eulach anzusteuern, genauer: dessen Altstadt, die grösste zusammenhängende Fussgängerzone der Schweiz, mit ihrem bunten Mix aus Beizen, Boutiquen, Cafés, Läden aller Branchen, und ganz präzise – wie ab und an und immer mal wieder – zum Gourmettempel Tibits, dem kreativ geführten Vegi-Lokal am Oberen Graben. Doch an diesem Tag hat der Vollprofifahrer unterwegs Ärger: Ein Pneu ist defekt, irreparabel, verliert arg Luft, muss an der erstbesten Haltemöglichkeit ausgewechselt werden. Das dauert seine Zeit, und ABC erreicht unsere Stadt erst bei der Einkehr in die Dunkelheit, und ja, er ist vermutlich leicht verärgert.

Ihm ist’s drum kaum zu Mute, präzis dort zwischen den Holderplatz und die Marktgasse-Obertor-Querung zu gucken, dorthin wo 32 prächtige ahornähnliche Platanen eine traumhaft romantische Blätterallee bilden. Er fährt wohl ohne Schwärmerei für die Stadtbäume, aber – des wohl verspäteten Feierabends wegen – ein wenig gereizt genau zum Abschnitt von der Stadthausstrasse bis hin zum Tibits, also präzis da, wo am Unteren wie am Oberen Graben sechs prächtige dreissigjährige Platanen stehen.

An diesem tristen 6. November ist’s akkurat polizeilich rapportiert, sei ein Brummi beziehungsweise dessen Führer beim Manövrieren im Halbdunkeln und am engen und unübersichtlichen Oberen Graben an einer ahornähnlichen Platane hängen geblieben und habe einen kräftigen Ast – gewiss in einer Länge von einem Meter – vom kräftigen Stamm gerissen. Das Fahrzeug wurde polizeilich überprüft, alles war in Ordnung, das Unfallprotokoll ausgefüllt und die Schadenmeldung der Stadtgärtnerei zugestellt. Weil die Lichtverhältnisse zappenduster waren und die Zufahrtsmöglichkeit eng und unübersichtlich, wurde der eh schon nervengeplagte Lenker von den Bullen hingegen nicht auch noch gebüsst. Aber! Es hat den wunderschön kräftigen und belaubten dreissigjährigen Baum tötlich erwischt. Seine Wunde so gross, dass die Platane nicht gerettet werden kann. Der Schaden an dieser edlen Pflanze beläuft sich auf amtlich festgehaltene 10 000 Franken. Im Preis enthalten sind die Anschaffung eines jungen Baumes, der Aushub, die Pflanzung und die dreissigjährige Pflege, bis die Platane die Grösse der anderen Bäume in der Gasse erreicht. Das Verschulden des Fahrers ist gering. Metallpfähle oder Planzentöpfe können aus Verkehrssicherheitsgründen diese enge Stelle nicht absichern, wo die Tibits-Lieferanten regelmässig die köstlichen Speisen und Getränke anliefern.

Im Winterthurer Siedlungsgebiet leben nebenbei bemerkt 12 500 Bäume und in unseren weiten Wäldern sogar 826 000 so stämmige Rundhölzer. So könnte man wohl meinen, dass es in unserer Gesellschaft nicht auf einen einzelnen Baum ankommt. Das ist indes ein grosser Irrtum. Die Bäume sind wohl das wertvollste Gut unserer Stadt, wir verdanken ihnen unsere wunderbare Luft- und Lebensverhältnisse.


Guido Blumer,
7.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 341.

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