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«Wandzeitung» vom 1.9.2015:

Wider die Politverdrossenheit:

«Diä mached da obä was’ wänd.»

Die Bundesverfassung gibt den Schweizerinnen und Schweizern nach zurückgelegtem 18. Lebensjahr das Recht, an Nationalratswahlen und an Abstimmungen des Bundes teilzunehmen und Volksinitiativen und Referenden zu ergreifen und zu unterzeichnen. Dieses Recht kommt ziemlich unauffällig daher, ist aber Ausdruck eines demokratischen Gesellschaftsverständnisses, für welches uns das Ausland beneidet. Wir haben als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes das Recht, unsere eigene Meinung zu bilden und mitzubestimmen, in welche Richtung sich die Schweiz künftig entwickeln soll. Ein Recht, dessen Bedeutung man nicht hoch genug einschätzen kann.

Dennoch sind tiefe Stimm- und Wahlbeteiligungen die Regel; die Hälfte der stimmberechtigten Bevölkerung nimmt an Abstimmungen und Wahlen nicht teil. So betrug die Stimmbeteiligung am 12. April 2015 zur Vorlage «Teilaufhebung der Gemeindezuschüsse zur AHV/IV» in Winterthur lediglich 37.73%. Am 8. März 2015 waren es bei den Erneuerungswahlen der drei Friedensrichterinnen nur 34,78%. Diese Tatsache muss nachdenklich stimmen. Warum verweigert sich ein grosser Teil der «Berechtigten» der politischen Mitwirkung? Angesprochen auf den Grund der Wahl- und Abstimmungsabstinenz sind Antworten wie «Diä mached da obä sowieso was‘ wänd» oder «da chumm ich nid druus» Standard. Mangelndes Vertrauen in Politik und Behörden und die Komplexität der Vorlagen scheinen die Hauptgründe zu sein.

Zugegebenermassen sind die Verfassungs- und Gesetzesvorlagen, Initiativ- und Referendumstexte in der Regel komplex und erfordern ein Studium der Abstimmungszeitung und eine Auseinandersetzung mit den verschiedensten Argumenten. Immerhin hat die briefliche Stimmabgabe zu einer Vereinfachung geführt, die eigentlich zu einer grösseren Stimmbeteiligung führen müsste. Noch nie war es so einfach, seine Meinung kundzutun und eine Abstimmung mit zu beeinflussen.

Szenenwechsel: Eine spontan gebildete Gruppe, die sich dem Erhalt eines alternden Holzmannes im Graben verschrieben hat, sammelt innert kurzer Zeit 10 000 «likes» auf Facebook. Ein hoch emotionales Geschäft, nicht komplex und nicht entscheidend für unsere Stadt. Aber dafür können Massen mobilisiert werden (ohne dass sie sich vertieft mit der Materie auseinandergesetzt haben). Also doch: Es schlummert ein demokratisches Verständnis in der Bevölkerung, welches man mit einfachen und emotionalen Themen herausfordern kann. Und dass jede Stimme zählt, weiss die Stadt Winterthur am besten, was Motivation für eine regelmässige Stimmabgabe sein sollte.

Aber: Politik ist nicht einfach. Gepflegte und zivilisierte politische Auseinandersetzung ist anspruchsvoll und braucht Zeit. Die müssen sich die Stimmberechtigten nehmen. Die Aufgabe der Behörden ist es, die Vorlagen dem Grundsatz der Einfachheit folgend zu formulieren. Wem die Themen zu kompliziert sind, der hat das ganze Parteienspektrum zur Verfügung, sich Argumente zusammenzutragen und sich eine Meinung zu bilden. Auch hierüber äussert sich unsere Bundesverfassung. Die politischen Parteien wirken an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mit. Und die Sache mit dem mangelnden Vertrauen?


Michael Künzle,
1.9.2015, 114. Jahrgang, Nr. 244.

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