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«Wandzeitung» vom 4.10.2015:

EIN SATZ:

Denk ich an Winterthur in der Nacht.

Die Zukunft war früher auch besser. KARL VALENTIN

Worauf wir uns früher verlassen konnten: Regelmässig um sieben – wenn die Welt noch in Ordnung zu sein hatte, vor allem wenn man schlafenderweise nichts von ihr mitbekam – schreckten wir aus dem Schlaf der Gerechten und wurden der wirtschaftlichen Prosperität bewusst, die als hemmungsloser Baulärm in unsere Schlafzimmer quoll. Erst als die Baukonjunktur etwas erlahmte, übernahmen es die Laubbläser, «Schweiz, erwache!» zu röhren.

Ebenso regelmässig nach einer halben Stunde, nachdem das Wiedereinschlafen unmöglich geworden war, verstummten die Plaggeister, um sich dem Genuss eines Kasten Biers hinzugeben. Heute hat der Energy-Drink die Bügelflasche auf den Baustellen abgelöst, was die Abstinenzler unter den Präventionsexperten für gesund halten, den widerlichen Inhaltsstoffen des Gebräus zum Trotz. Doch sie stellen die Mehrheit der Branche. Ohne Entsagungs-Policy bei Alkohol, Tabak und potenziell diskriminierenden Witzen ist in hygienischen Zeiten kein Staat zu machen. Aber nicht nur das ist anders geworden: Die Bauarbeiter setzen um den Bahnhof der kleinen, fast grossen Stadt, die wir alle gut kennen, kurz nach Mitternacht allerlei hochmotorische Gadgets in Betrieb, umrahmt von Hammerschlägen und Kreissägen. Nicht weil man an Winterthur denkt, ist man um den Schlaf gebracht, um mit Heinrich Heine zu sprechen, sondern wegen des Crescendos kreischender Trennscheiben. Eine Pause scheint es nicht zu geben, schon gar keine Bierpause. Um ein Sparprojekt in der finanziell gebeutelten Kommune kann es sich nicht handeln, Nachtarbeit ist teuer. Und bringt die Stadtfinanzen noch mehr aus der Balance als sie es zu sein scheinen.

Gebt denen das Bier zurück! Und von mir aus auch die diskriminierenden Witze. Aber vor allem die Bierpausen. Als Langschläfer wünschte man, sie würden mit der Pause schon vor Arbeitsaufnahme beginnen, d. h. Bagger, Presslufthammer und Ramme neben dem Toi Toi lassen oder womöglich gleich im Baugeschäft, damit auf der Baustelle ausnahmslos nur noch getrunken würde.

Daran, dass man tagsüber bzw. von sieben bis halb acht – nachher wäre ja dann Pause – ein, zwei Geleise bei der Baustelle nicht sperren kann, wie es die Baufirma behauptet, kann es nicht liegen. Es ist etwas anderes: Tagsüber wird nämlich der Verkehr rund um den Bahnhof von Hand geregelt. Auf den Uniformen der beauftragten Leute steht «protect». Doch was drauf ist, ist nicht drin. Letzthin winkte mich einer fast ins Verderben, weil er sich mit dem andern, auf dem ebenfalls zu Unrecht «protect» stand, nicht koordinierte und ich deshalb mit dem Velo mitten in den Querverkehr geriet, dem er die Fahrt schon freigegeben hatte. Das ist bei einem Velofahrer nicht weiter schlimm. Bei einem Bauarbeiter akzeptiert das die SUVA aber nicht. So ist logisch, dass nachts gearbeitet wird.

Auch ich gehe jetzt nur noch nachts aus. Schlafen kann ich eh nicht. Bis mindestens 2018, dann soll der Bahnhof mal wieder vorläufig gebaut sein. Energy-Drinks kommen mir aber trotzdem nicht ins Haus.


Adrian Ramsauer,
4.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 277.

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