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«Wandzeitung» vom 24.11.2016:

Meistens möchte ich meinen Bruder nicht anders haben, als er ist:

Geschwisterliebe.

In Momenten wie diesen wünsche ich mir, ich wäre ein Einzelkind geblieben. Es ist Sonntagmorgen um 10 Uhr und mein jüngerer Bruder schiesst mit seiner neuen Spielzeugpistole unter lautem Kampfgebrüll auf mich. Obwohl seine Munition eigentlich nur aus Schaumstoffpatronen besteht, muss ich überrascht feststellen, dass jeder Treffer schmerzt und mich tatsächlich zwingt, mich aus meinem Bett zu hieven und aufzustehen. Der miese kleine Zwerg ergreift lachend die Flucht. Das wird er noch bereuen.

Mein Bruder ist beinahe sechs Jahre jünger als ich, aber auch wir sind nicht von den üblichen Streitereien, die Geschwister nun mal so haben, verschont geblieben. (Wobei jedoch klargestellt werden muss, dass er eindeutig öfters Schuld an unseren Schreitiraden trägt als ich!) Unsere Eltern mussten doch schon einige Abende ertragen, an denen wir uns gezankt haben wie ein altes Ehepaar, und besitzen mittlerweile die magische Gabe, unsere Streitereien schon vorherzusehen und uns entweder davon abzuhalten oder selbst möglichst schnell die Flucht zu ergreifen. Wenn unsere Eltern aber nicht zu Hause sind, dann haben wir keinen Streit. Dann herrscht Krieg. Mit Gepolter und Kanonendonner. (Wortwörtlich, da irgendjemand auf die glorreiche Idee gekommen ist, meinem Bruder diese doofe Spielzeugpistole zu schenken, deren einziges Ziel ich bin.) Es wird geschrien und Türen werden zugeworfen, doch eines ist immer wieder verwunderlich:

Egal wie schlimm unser Streit war, nach etwa einer Stunde legt mein Bruder seine (idiotische) Waffe nieder und komm mit erhobenen Händen ins Wohnzimmer geschlichen. Und genauso schnell, wie der Disput entflammt ist, ist er auch wieder zu Ende. Ich bestelle Pizza und mache ihm Ice-Tea. Er räumt den Wohnzimmertisch frei und legt einen Harry-Potter Film in den DVD-Rekorder. Die einzige mehr oder weniger hitzige Diskussion, die wir nun noch führen, ist, wer dem Pizzakurier die Tür öffnet und wer denn cooler sei: Dumbledore oder Hermine. Genauso treffen uns unsere Eltern jedes Mal an, wenn sie einen Abend auswärts verbringen: Meinen Bruder und mich unter eine Decke gekuschelt beim Harry-Potter-Marathon.

Denn egal, wie oft wir uns provozieren, uns verfluchen und anschreien, schlussendlich liebe ich meinen Bruder trotzdem und ich denke (und hoffe) mal, er mich auch. Unsere Interessen sind in so vielen Aspekten verschieden (Ich verstehe wohl nie, was so unglaublich spannend an sogenannten «Lets Plays» ist, oder was den Reiz eines Spiel ausmacht, dessen einziger Inhalt es ist, mit einem Panzer durch die Weltgeschichte zu tuckern) und trotzdem lachen wir über dieselben Witze und unterhalten uns über Star Wars und Konsorten stundenlang.

Mein Bruder ist nervig, viel zu energiebeladen und redet in nicht enden wollenden Wasserfällen, doch er ist eben auch der loyalste und gutmütigste Mensch, den ich kenne und ich möchte ihn (meistens) nicht anders haben, als er ist.

 


Noëlle Lee,
24.11.2016, 115. Jahrgang, Nr. 329.

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